Das Petschaft vom Heiligenberg

Das Petschaft
Das aus einer Kupferlegierung hergestellte Siegel gehört einem gebräuchlichen spitzovalen Siegeltypus des Mittelalters an, der vor allem im geistlichen Bereich verbreitet war. Die Bildgestaltung und die Schriftform der Umschrift lassen das Siegel in das 14. Jahrhundert und damit in das zeitliche Umfeld seiner Fundschicht – die ältere Schuttschicht – datieren.

Das Motiv
Der Siegelschneider stellte auf der kleinen Bildfläche ein Schwein ins Zentrum und ließ eine maßstäbliche menschliche Gestalt dahinter knien. Das Schwein, das mit aufgestellten Rückenborsten und langer Schnauze auf den heutigen Betrachter wie ein mageres Wildschwein wirken mag, entspricht in Größe und Gestalt spätmittelalterlichen Hausschweinen. Ein bärtiger Mann kniet hinter dem Tier. Er trägt den spitzen sog. Judenhut, der im 14. Jahrhundert die übliche, stigmatisierend verpflichtende Kopfbedeckung von Juden war, ein knielanges, gegürtetes Gewand und hält mit der linken Hand den linken Hinterlauf des Schweins fest. Aus dessen After fällt Kot, der das Gesicht bzw. die Nase des Mannes berührt. In seinen Gesichtszügen sind Nase, Lippen und Augenbrauen kräftig akzentuiert. Der Kopf ist im Verhältnis zum Körper ein wenig zu groß geraten, ganz so, als wollte der Stempelschneider die Gesichtszüge – in Verbindung mit dem Kot – auf wenigen Millimetern Fläche deutlich hervorheben.

Die Umschrift
Die Textumschrift des Siegels wird von einer Perlschnur abgetrennt.

Die Umschrift heißt vollständig:

+ SECRETUM JACOBI PIG (NERATORIS) BREMENSIS 

Sekret des Jacobus, des Bremer Pfandnehmers

Damit verweist die Siegelumschrift auf einen Bremer Pfandleiher namens Jacobus, der sich mit dem Siegelbild, in dem das beleidigende Motiv einer „Judensau“ gezeigt wird, als Jude zu erkennen gibt – bzw. geben muss.

— Autor: Konrad Elmshäuser

Rückseite des Siegels vom Heiligenberg.
Rückseite des Siegels vom Heiligenberg.
Vorderseite des Siegels vom Heiligenberg.
Vorderseite des Siegels vom Heiligenberg.
Vorderseite des Siegels in Spiegelansicht.
Vorderseite des Siegels in Spiegelansicht.

Widerspruch

2021 widersprachen Andreas Lehnertz und Markus J. Wenninger in einem Betrag im Bremischen Jahrbuch den Ausführungen von Herrn Elmshäuser in wesentlichen Punkten. Nach ihrer Auffassung handelt es sich um das Typar eines Christen und nicht um das eines Juden. Unter anderem begründen sie dies mit der abweichenden Lesung der Umschrift. Statt PIG lesen sie PIL. Die Autoren verstehen dies als Bei- bzw. Familienname des Siegelführers Jakob. Dieser Name sei in verschiedener Form seit dem 14. Jahrhundert in der Region um Bremen mehrfach für Christen nachgewiesen.

Auch in der Datierung weichen die Autoren von der Einschätzung Konrad Elmshäusers ab. Auf Grundlage der Form des Typars und der Gestaltung der Inschrift datieren sie das Petschaft um 1240/1250. Im 13. Jahrhundert weisen, laut Herrn Lehnertz und Herrn Wenninger, eine große Anzahl an Bürgersiegeln die spitzovale Form aus. Diese Tatsache in Zusammenhang mit der Eigenbezeichnung BREMENSIS in der Inschrift lässt die Autoren zu der These kommen, dass Jakob Pil ein Bremer Bürger und/oder Ministeral war, somit wäre das vorliegende Petschaft das älteste noch erhaltene Typar eines Bürgers.

Ob dieser das antijüdische Sujet aufgrund der alten theologischen Judenfeindschaft wählte oder ob es ein frühes Zeichen der im Spätmittelalter aufkommenden sozialen Judenfeindschaft ist, können die Autoren aufgrund der Beweislage nicht klären.

Die Forschung an dem Petschaft ist noch nicht abgeschlossen. Neue Erkenntnisse werden wir publizieren.