Eine Landwirtin oder ein Landwirt in Deutschland erwirtschaftete um 1900 genug Nahrungsmittel um vier Personen zu versorgen, bis 2016 stieg diese Anzahl auf 145 Menschen. In diesen knapp 100 Jahren wandelte sich die Landwirtschaft und das Leben auf dem Land grundlegend. Der Ausdruck Strukturwandel beschreibt diese Veränderungen mit den vier Begriffen: Spezialisierung, Mechanisierung, Industrialisierung und Intensivierung. Diese Veränderungen hin zu einer industrialisierter Landwirtschaft sind in Anbetracht von Agrarwüsten, Insektensterben, überhöhten Nitratwerten oder fortgesetztem Höfesterben Auslöser für emotionaler Debatten.

1963

1950 gab es in Gesamtdeutschland noch 2,3 Millionen Pferde in der Landwirtschaft. Ihre Anzahl sank bis 1970 auf 400.000. Gleichzeitig stieg die Anzahl der Schlepper von 140.000 im Jahr 1950 auf 1,36 Millionen 1970. Je nach wirtschaftlicher Situation investierten die Höfe zu unterschiedlichen Zeiten in die Mechanisierung. Auf den Feldern fand sich, wie hier bei der Kartoffelernte 1963 bei Heiligenfelde, ein Nebeneinander von modernen Schleppern auf dem einen Feld und Pferdegespannen auf dem anderen.

Kreiszeitung, Nr. 220, 21.09.1963, 103. Jg.

Statt eines vielseitigen Mischbetriebes spezialisierten sich die Höfe seit den 1950er Jahren auf einen Arbeitsbereich der Viehwirtschaft oder des Ackerbaus. Nach den Mangelerfahrungen der Kriegszeit war es das Ziel der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Düngemittel, neues Saatgut, automatisierte Stallanlagen, Pflanzenschutzmittel und neue Maschinen erhöhten die Produktivität der Höfe. Der europäische Binnenmarkt war bereits in den 1960er Jahren übersättigt und die berüchtigten „Milchseen“, „Apfelgebirge“ und „Butterberge“ entstanden. Das Motto hieß „Wachse oder weiche“. Viele kleine und mittlere Höfe gaben auf, da ihnen das Kapital zur Modernisierung fehlte. Diese Veränderungen waren im Landkreis Grafschaft Hoya deutlich spürbar. Die landwirtschaftliche Nutzfläche betrug 1966 insgesamt 88.600 Hektar. Kleinbetriebe von 0,5 bis 10 Hektar bewirtschafteten 1960 zusammen 20.611 Hektar. Diese Fläche war 1964 auf 16.334 Hektar geschrumpft. Im gleichen Zeitraum gewannen die Betriebe mit einer Größe von 10 bis 30 Hektar Agrarflächen hinzu. Zusammen bearbeiteten sie 1964 59.469 Hektar. Vier Jahre zuvor waren es noch 56.612 Hektar. Diese Tendenz zu steigenden Betriebsgrößen hält bis heute an. Im Jahr 1950 gab es zwei Millionen Höfe in der Bundesrepublik. Bis 2021 sank ihre Anzahl auf 259.200. 1960 betrug die durchschnittliche Hofgröße 7,5 Hektar. Heute liegt sie bei 62,3 Hektar.

Bis Anfang der 1950er Jahre war Landwirtschaft ohne Pferde als Zug- und Arbeitstiere undenkbar. Es gab mehr Höfe mit Pferden als mit Zugmaschinen. Innerhalb von zwei Jahrzehnten kehrte die Mechanisierung der Landwirtschaft dieses Verhältnis um. Diese Entwicklung kündigte sich in den 1950er Jahren mit dem „Schlepperboom“ an. In Niedersachsen sank der Bestand jährlich um 20.000 Pferde und belief sich 1964 auf 120.000 Tiere. Dieser Trend bestätigte sich im Landkreis. Über das Kreisgebiet verteilten sich 1969 2.700 Pferde von denen 774 bereits über 15 Jahre alt waren und ihr Gnadenbrot erhielten. Außer im Sport verschwanden die Pferde aus dem Alltags- und Arbeitsleben.

1965

Nach der Gründung der Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) wandelte sich die Haltung von Legehennen von einer Nebenerwerbsquelle zu einem lohnenswerten Geschäftsmodell. Die neuen Stallanlagen für 7.000 Hühner des Landwirt Helms aus Heiligenloh war 1965 mit einer vollautomatischen Fütterungsmaschine ausgestattet. In den damals modernen Legebatterien entwickelte sich die Tierhaltung im Dunkelstall mit Förderbändern für Exkremente und gelegte Eier auf ein industrielles Niveau.

Kreiszeitung, Nr. 235, 09.10.1965, 105. Jg.

1986

Flächentausch, Umleitung von Bächen oder Trockenlegung von Feuchtgebieten, keine Maßnahme veränderte die Landschaft so wie die Flurbereinigung. Die Arbeitsbreite der Landmaschinen wuchs, so dass die Ackerflächen für eine intensivierte Landwirtschaft mitwachsen mussten. Im April 1984 baggerten Arbeiter des Mittelweserverbandes den Bahlumer Bach aus. Ziel war es tiefer gelegene Wiesen zur entwässern, was die hiesigen Umweltverbände massiv kritisierten.

Kreiszeitung, Nr. 127, 04.06.1986., 126 Jg.

Statt als Nebenerwerbsquelle galt die spezialisierte Haltung von Legehennen und Mastgeflügel seit Anfang der 1960er Jahre als lohnenswertes Geschäftsmodell. Im Harpstedter Industriegebiet nahm 1966 ein Geflügelgroßbetrieb mit 34.000 Legehennen den Betrieb auf. Die Anwohnerinnen und Anwohner beschwerten sich über die Geruchsbelästigung. Diese sei so unerträglich, dass ihnen die Lust auf Eier vergehe, egal wie billig diese seien, wie es in der Kreiszeitung vom 28. Juli 1967 hieß. Die industrialisierte Haltungsform in Legekäfigen setzte sich in den 1960er Jahren durch und galt als Ausweis einer modernen Landwirtschaft. Über den neuen Dunkelstall eines Seckenhausener Landwirtes berichtete die Kreiszeitung im August 1962: „Die Tiere leben in diesem Stall viel gesünder, da sie nichts Unkontrollierbares fressen und sich folglich auch nicht anstecken können.“ Die Europäische Union verbot 2012 die Haltung in konventionellen Käfigen nach jahrzehntelangen Protesten von Tierschutzorganisationen.

Wie sich agrarindustrielle Methoden, Verbraucherwünsche, Markterfordernisse und Tierwohl vereinbaren lassen, ist Gegenstand emotionaler Diskussionen. Hinzu kommen Themen wie Agrarsubventionen, Umweltauflagen und Preisdruck durch weltweite Warenangebote. Die Arbeit der Landwirtinnen und Landwirte ist weit entfernt von romantischen Werbebildern, sondern geprägt von einem Spannungsfeld verschiedenster Anforderungen.

1987

Der Mischbetrieb war unter dem steigenden Konkurrenzdruck nicht mehr wirtschaftlich und für eine Spezialisierung fehlte vielen Höfen das Geld. Anfang der 1950er Jahre begann das Höfesterben der kleinen und mittleren Betriebe. Dieser Trend hält bis heute an. Viele ungenutzte Wirtschaftsgebäude endeten wie 1987 diese Scheune in Osterbinde als Übungsobjekte für das THW und die Feuerwehr.

Kreiszeitung, Nr. 166, 21.07.1987, 127. Jg.