„Fotografieren war immer meine Leidenschaft!“

– Bildreporter Helmut Niedfeldt (* 2. August 1929; † 19.09.2020)

Kindheit und Jugend in Heiligenfelde

Am 2. August 1929 durfte sich das Paar Marie Niedfeldt geb. Köhler und Heinrich Niedfeldt über die Geburt ihres Sohnes Helmut freuen. Dieser besuchte von Ostern 1935 bis 1943 die Volksschule in Heiligenfelde. Bereits während seiner Schulzeit entwickelte er eine Leidenschaft für das Fotografieren. Anfang der 1940er Jahre besaß er eine schwarze Boxkamera, mit der er seinen Alltag dokumentierte. Sie war aufgrund ihrer einfachen Fertigung günstig und dadurch für den schmalen Geldbeutel erschwinglich. Nach dem Abschluss der Volksschule begann er am 1. April 1943 seine Ausbildung zum Autoschlosser bei Opel Bergmann in Syke.

1947

Diese Aufnahme zeigt Helmut Niedfeldt (links) zusammen mit zwei Gesellen 1947 bei Opel Bergmann. Auch nach seinem Berufswechsel zur Pressefotografie Anfang der 1960er Jahre blieben Autos sehr wichtig für ihn. Er war auf sein Auto angewiesen, um die vielen Ortstermine wahrzunehmen. Wie in seiner Zeit als Testfahrer bei Borgward, konnte er bis ins hohe Alter hören, ob an einem Wagen alles „rund lief“ oder ein Besuch in der Werkstatt notwendig war.

Privatbesitz Familie Niedfeldt

1950er

Der Aufstieg innerhalb der Firmenhierarchie bei Borgward im August 1956 zeigte sich in der neuen Arbeitskleidung. Als Vorarbeiter und Testfahrer war der Blaumann für Niedfeldt passé. Stattdessen streifte er den weißen Kittel mit dem Firmenemblem auf der Brusttasche über. Die neugebauten Wagen gingen erst nach einer Testfahrt über die Straßen rund um Hastedt und Sebaldsbrück in den Verkauf. Der Posten als Testfahrer war begehrt, denn dazu gehörte auch den Firmeninhaber Carl F. W. Borgward und seine Familie zu chauffieren.

Privatbesitz Familie Niedfeldt

Wirtschaftswunder, Borgward und die Liebe

Als Geselle wechselte Niedfeldt am 25. März 1947 zu Borgward in Bremen Hastedt. In den 1950er Jahren war das Unternehmen ein Stern am Himmel des Wirtschaftswunders. Er arbeitete zunächst in der Produktionslinie für die LKW und wechselte 1951 in den Kundendienst und die Reparaturannahme. Im August 1956 wurde er Vorarbeiter in der Einfahrabteilung. Erst nach einer Testfahrt über den Autobahnabschnitt bei Sebaldsbrück gingen die neugebauten Wagen in den Verkauf. „Das war ein begehrter Posten als Testfahrer. Bei dieser Fahrt sollst du hören und feststellen, was an dem Auto noch nicht in Ordnung ist. Wenn Du ein bisschen Gefühl dafür hattest, dann kannst Du hören, ob die Hinterachse rund läuft oder der Motor richtig klingt“, erinnerte sich Herr Niedfeldt beim Interview im Februar 2020. Sein Aufstieg innerhalb der Firmenhierarchie zeigte sich in der neuen Arbeitskleidung. Der Blaumann war passé, stattdessen streifte er den weißen Kittel mit dem Firmenemblem über.

Die Fotografie blieb in all den Jahren bei Borgward sein Hobby. Besonders gern fotografierte er in den 1950er Jahren seine wachsende Familie. Er nutzte für seine Aufnahmen eine russische Zorki 1. Diese Meßsucherkamera mit Tuchschlitzverschluss wurde von 1948 bis 1956 hergestellt. Sie war ein sowjetischer Nachbau der Leica 2 von 1932 und konnte mit den originalen Leicaobjektiven genutzt werden. Ende der 1940er Jahre hatte er bei einem Auftritt mit seiner Musikgruppe seine zukünftige Frau Anneliese Rohlfs aus Syke kennen gelernt. Am 20. Juni 1952 heiratete das Paar in der Heiligenfelder Kirche. Drei Jahre später kam die erste Tochter Heide auf die Welt und 1961 wurde die zweite Tochter Astrid geboren. Zusammen mit seinem Vater erwarb er Anfang der 1960er Jahre ein Baugrundstück am Bültenkamp in Heiligenfelde. Die Familie erfüllte sich den Traum vom Eigenheim mit drei Generationen unter einem Dach. Doch genau zu dem Zeitpunkt am 11. September 1961, meldete Borgward überraschend Konkurs an. Am Wirtschaftswunderhimmel waren dunkle Wolken aufgezogen: Der Verkauf der neuen Arabella-Serie lief nur schleppend und hinzu kamen Liquiditätsengpässe. Fast 20.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, darunter Helmut Niedfeldt, verloren ihre Arbeitsstelle.

1950er

Die Fotografie blieb in den 1950er Jahren Niedfeldts Hobby. Auf dieser Aufnahme wechselt er das Objektiv an seiner Zorki 1. Diese Meßsucherkamera mit Tuchschlitzverschluss war ein russischer Nachbau der Leica 2 und wurde von 1948 bis 1956 hergestellt. Die Kopie war so gut, dass die originalen Leicaobjektive aufgeschraubt werden konnten. Anders als bei modernen Kameras muss der Fotograf alle Einstellungen für Blende, Belichtungszeit und Fokus selbst vornehmen.

Privatbesitz Familie Niedfeldt

1975

Niedfeldt achtete bei seinen Ortsterminen auf die kleinen Details und bewies in seinen Bildern Sinn für Humor. Die Redaktion nahm diese Bildvorschläge gerne an und ergänzte sie, wie hier im Februar 1975, mit den passenden Beschreibungen. „Eigentlich kann im Vereinslokal der Feuerwehr Melchiorshausen nichts mehr passieren. Der dreifach bemützte Feuerlöscher zeigt, dass die Gastwirtschaft in guter Hut ist. Einmal hängt entsprechendes Gerät an der Wand, zum anderen hält sich offensichtlich fachkundiges „Bedienungspersonal“ in den Räumen auf. So viel Vorsorge muss beim Biertrinken einfach beruhigend wirken.“

Kreiszeitung, Nr. 43, 20.02.1975, 115. Jg.

Von der Werkstatt zur Kreiszeitung

Eine neue Arbeit musste her und notgedrungen wechselte Niedfeldt am 13. Oktober 1961 zurück nach Syke zu Auto VW Nienstedt in der Hauptstraße zwischen Wessels Hotel und dem Gasthaus Brüning. Er arbeitete in der Werkstatt und an der Ausgabe. Die Mitarbeiter aus dem nahe gelegenen Verlagshaus der Kreiszeitung brachten Anfang der 1960er Jahre ihre Lieferfahrzeuge zur Reparatur in die Wagenhalle. Im Gespräch erwähnte Niedfeldt seine Leidenschaft zur Fotografie und dass er mit seiner neuen Arbeitsstelle nicht so recht zufrieden war. Der Chefredakteur Otto Vöge suchte in jenem Winter einen neuen Pressefotografen und fragte ihn, ob er nicht der neue Bildreporter der Kreiszeitung werden wolle. Die Entscheidung fiel abends am Küchentisch. Niedfeldt ließ sich von seiner Frau überzeugen die Branche zu wechseln.

Ab November 1961 war Niedfeldt für die Kreiszeitung tätig. Nach einer Phase des Ausprobierens und gegenseitigen Kennenlernens nahm er am 1. April 1962 offiziell die Arbeit als Fotograf für die Kreiszeitung auf. Bis Ende 1987 war er als Bildreporter angestellt und blieb noch bis Ende 1989 als freier Mitarbeiter tätig. In seinen Anfangsjahren war er für den gesamten Landkreis Grafschaft Hoya zuständig. Nach der Kreisreform 1977 vor allem für den nördlichen Teil des neuen Landkreis Diepholz. Jeden Abend saß er über einer Karte im Wohnzimmer und plante seine Tour für den nächsten Tag. Er ist in den fast drei Jahrzehnten als Bildreporter schätzungsweise 1,5 Millionen Kilometer gefahren. Diese Strecke entspricht einer zweifachen Reise zum Mond und wieder zurück. Die Länge der Arbeitstage orientierte sich an der Auftragslage. Die Redakteurinnen und Redakteure hatten ihre Bildwünsche und Termine durchgegeben, aber der Fachmann für die Bilder war Niedfeldt. Nach einigen Jahren hatte er sich einen Ruf als guter Fotograf erarbeitet und war zur Marke „Foto Niedfeldt“ geworden. Er hatte einen guten Blick für spannende Perspektiven und konnte Geschichten in seinen Bildern einfangen.

1976

Für die Redakteurinnen und Redakteure ging es darum, ein passendes Bild für ihr Thema zu bekommen: Die bei einem Sturm zerstörte Traglufthalle des Tennisvereins Barrien hat seit dem 8. Januar 1976 eine neue Kunststoffhaut und es kann wieder gespielt werden. Niedfeldt übersetzte diesen Auftrag in eine Fotostudie zur Dynamik des Tennisspiels. Durch die Gegenüberstellung von scharfem Hintergrund und Unschärfe der Bewegungen der Tennisspielerin im Vordergrund entsteht ein spannender Gegensatz, der die flüchtigen Augenblicke des Spiels vergegenwärtigt.

Kreiszeitung, Nr. 13, 16.01.1976, 116. Jg.

1982

Der „Jahrhundert-Sommer“ 1982 füllte die Freibäder und die Redaktion bestellte bei Niedfeldt dazu passende Pressefotos. Er stand durch seine vielen Termine beständig unter Zeitdruck. Trotzdem ließ er die Orte auf sich wirken, um dadurch die besten Ideen für den Bildaufbau zu entwickeln. Ein gutes Bild erzählt eine Geschichte und fängt den Blick der Betrachtenden ein. In diesem Fall kletterte er dafür auf den Sprungturm des Bassumer Freibades um sein Modell während des Sprungs ins kühle Nass abzulichten.

Kreiszeitung, Nr. 178, 04.08.1982, 122. Jg.

Alltag zwischen Bildreportagen und Unfallfotografie

Von diesem guten Ruf ließ sich auch das Syker Polizeirevier überzeugen und forderte ihn für die Unfallfotografie an. „Ich hatte mit der Polizei in Syke eine Absprache. Die haben mir über Telefon oder per Funk Bescheid gesagt, wenn etwas passiert war. Das durfte keiner wissen, aber ich konnte ja im Auto den Polizeifunk mithören, und dann haben die über Funk durchgegeben: „So, sag dem Niedfeldt Bescheid, der muss da und da hin, da ist was passiert.“ Und dann bin ich hingefahren und hab die Unfälle fotografiert“, erinnerte sich Niedfeldt. Das örtliche Polizeirevier verfügte bis in die 1970er Jahre über keine eigenen Fotografinnen oder Fotografen und Niedfeldt schloss diese Lücke. Zudem erforderten die analogen Kameras mit manuellem Fokus viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl. Erst der Verkaufsstart von Fotoapparaten mit Autofokus ermöglichte es auch Laien, scharfe Bilder zu machen. Diese neuen Kameras verschärften den Konkurrenzdruck für Niedfeldt. Die Kreiszeitung wuchs und baute 1972 ein neues Druck- und Verlagshaus am Ristedter Weg im Syker Gewerbegebiet. Viele der neu eingestellten Redakteurinnen und Redakteure verfügten selbst über eine Kamera mit Autofokus und nahmen diese mit zu ihren Ortsterminen. „In der ersten Zeit konnte ja nicht jeder fotografieren und dann nachher mit den neuen Kameras hat sich das geändert. Kamera hinhalten und dann war da irgendwas drauf. Das habe ich nun wieder verdammt, die pfuschten schließlich in mein Geschäft rein“, berichtete Niedfeldt. Er hatte das Fotografieren von einer Leidenschaft zu seinem Beruf gemacht. Auf die Anfrage, ob er mal eben ein Foto knipsen könne, reagiert er wenig motiviert. Häufig entgegnete er, dass Schaffner Karten knipsen oder er das Licht anknipsen könne. Ein gutes Foto zu machen war hingegen Arbeit. Seine Kamera war kein Spiel sondern sein Werkzeug. Die Bilder sollten etwas zeigen und nicht nur die Zeitungslektüre auflockern.

Angeregt durch Fotomagazine experimentierte er mit neuen Objektiven, Einstellungen und Bildperspektiven. In den 1970er Jahre wechselte er von einer Meßsucherkamera auf eine Spiegelreflex. Bevor diese im Beruf zum Einsatz kam, übte er zu Hause. Seine Töchter standen ihm dafür häufig Modell. In seinen letzten Jahren bei der Kreiszeitung fotografierte Niedfeldt mit einer Leica R5. Diese Spiegelreflexkamera mit Metalllamellenschlitzverschluss wurde zwischen 1986 und 1991 gefertigt und besaß viele Einstellmöglichkeiten für kreatives Arbeiten. Nach einem langen Arbeitstag und vielen Kilometern fuhr Niedfeldt zurück zur Kreiszeitung und entwickelte die Filme im dortigen Fotolabor. Der Zeitdruck war hoch, denn die Bilder mussten pünktlich zum Redaktionsschluss fertig sein. Er macht seine Bilder exklusiv für die Kreiszeitung und verkaufte sie nie an andere Verlage oder Zeitungen. Die im Fotolabor entwickelten Kleinbildnegative heftete er zu Hause sorgsam in Negativtaschen ab. Auf einer durchnummerierten Übersicht verzeichnete er alle gemachten Aufnahmen unter Angabe der Orte und einiger Stichwörter. Er hat dieses System 27 Berufsjahre lang beibehalten. Diese Übersichtlichkeit macht die Bildsammlung Niedfeldt zu einem Schatz für die Lokalgeschichte. Die Fotos lassen sich auch Jahrzehnte nach ihrer Aufnahme und mit Hilfe der alten Kreiszeitungsartikel zuordnen. Überdies ermöglichte ihm sein Presseausweis Zugang zu Orten und Ereignissen, die einer Privatfotografin oder einem Privatfotografen versagt blieben.

1986

Der Fotograf bleibt hinter der Kamera unsichtbar, denn für die Bildberichterstattung zählt, was vor dem Objektiv geschieht. Dieses Foto ist eine glückliche Ausnahme. Es zeigt durch die Spiegelwand im Hintergrund gleichzeitig, was vor und hinter der Kamera passierte. Niedfeldt präsentierte sich den Leserinnen und Lesern der Kreiszeitung bei der Arbeit und in der Pose, wie ihn sonst nur die von ihm fotografierten Personen sahen. Die Aufnahme entstand im Januar 1986 bei der Vorstellung der neuen Polizeidiensträume in der Waldstraße 4 in Syke.

Kreiszeitung, Nr. 6, 08.01.1986, 126. Jg.

1983

Bei der Grundsteinlegung zum neuen Syker Rathaus am 25. Mai 1983 waren mehrere Fotografen anwesend. Sie verteilten sich rund um den Ort des Geschehens und nahmen sich dabei gegenseitig mit in den Fokus. Diese Aufnahme des Bassumer Fotografen Uwe Gallmeier zeigt Bürgermeister Struß und Stadtdirektor Wodtke, während sie die Zeitkapsel versenkten. Hinten links am Bildrand wartete Helmut Niedfeldt auf seinen Moment für eine Fotografie.

Repro Stadtarchiv Syke / Fotograf: Uwe Gallmeier

Ruhestand – Ausfotografiert

Die unentwegte Jagd nach „schönen Bildern“ forderte ihren Tribut. Nach 27 Jahren als Bildreporter für die Kreiszeitung ging er mit 60 Jahren Ende 1989 in den Ruhestand. Die Leidenschaft für das Fotografieren hatte sich in den vielen stressigen Berufsjahren merklich abgekühlt. Die Kamera nahm er nur noch für ausgewählte Momente mit der Familie oder im Urlaub in die Hand. Er widmete sich dem Sujet der Landschaftsfotografie und arbeitete mit Farbfilmen. Zuvor hatte er alle seine Fotos in schwarz-weiß aufgenommen. Er blieb Heiligenfelde bis kurz vor seinem Tod treu und verstarb im September 2020 in Osnabrück. Er fertigte in seinen aktiven Zeit als Bildreporter schätzungsweise 200.000 Bilder an. Das Kreismuseum Syke übernahm zusammen mit dem Stadtarchiv Syke sein Bildarchiv im Sommer 2020, um es für die Nachwelt zu erhalten.

2010

In seinen 27 aktiven Jahren als Bildreporter machte Helmut Niedfeldt schätzungsweise 200.000 Aufnahmen. Von ihm selbst gibt es aus diesen drei Jahrzehnten kaum Bilder. Auch bei Familienfeiern blieb er durch seine Position hinter der Kamera stets unsichtbar. Dieses Foto entstand zufällig bei der Rückkehr aus einem Urlaub am Bremer Flughafen um 2010.

Privatbesitz Familie Niedfeldt