Etwa 1,5 Millionen jüdische Kinder wurden im Holocaust ermordet. Sie wurden vergast, erschossen oder zu Tode geprügelt, mussten verhungern, verdursten, erfrieren oder starben auf andere Weise an den menschenunwürdigen Bedingungen in den Ghettos und Konzentrationslagern. Nur wenige ihrer Lebensgeschichten wurden vor dem Vergessen bewahrt.

Lisbeth Löwenstein

Lisbeth Löwenstein wurde 1922 als Tochter von Henny und Louis Löwenstein geboren. Als das Mädchen acht Jahre alt war, zog die Familie nach Syke und lebte dort in der Ernst-Boden-Straße 7 zur Miete. Während der Vater einen Viehhandel betrieb, kümmerte sich die Mutter um den Haushalt und die Kinder, zu denen auch Lisbeths Bruder Herbert gehörte.

Schon vor der nationalsozialistischen Machtübernahme geriert die Familie in wirtschaftliche Schwierigkeiten, eine Erlassung des Schulgeldes für Lisbeth lehnte die Stadt Syke jedoch ab. Dennoch gelang den Löwensteins die weitere Finanzierung der Schulbildung ihrer Tochter, bis sie die Mittelschule im Jahr 1936 mit einem Volksschulabschluss verließ. Im Jahr darauf wurde Louis Löwenstein seine bisherige Arbeit untersagt, kurz nach Kriegsausbruch zog die Familie schließlich nach Bremen um.

Dort arbeitete Lisbeth als Hausgehilfin unterschiedlicher Bremer Familien. Am 18. November wurde sie gemeinsam mit ihren Eltern und ihrem Bruder in das Ghetto Minsk deportiert, wo sich ihre Spur verliert. Lisbeth wurde entweder Opfer der systematischen Massenmorde, die ab Ende 1942 dokumentiert sind oder starb schon zuvor an den unmenschlichen Bedingungen vor Ort.

Lisbeth Löwenstein vor ihrer jüdischen Mitschülerin Grete auf einem Foto der Mittelschulklasse in Syke im Frühjahr 1936 (Quelle: Fotosammlung Stadtarchiv Syke).

Für jüdische Kinder war der Schulalltag ab 1933 geprägt von der Erniedrigung durch Mitschülerinnen und Mitschüler. Sie waren nicht länger Teil der Klassengemeinschaft, sondern wurden isoliert und oft besonderen Plätzen im Raum zugewiesen. Auf dem Pausenhof waren sie weiteren Demütigungen ausgesetzt, mussten Hänseleien und Ausgrenzung über sich ergehen lassen. Auch vor körperlicher Gewalt schreckten die Gleichaltrigen nicht zurück, ganz gleich ob auf dem Schulweg oder zwischen den Stunden. Auch im Sportverein oder bei Feierlichkeiten bekamen jüdische Kinder den Hass ihrer Mitmenschen zu spüren.

Die verantwortlichen Lehrerinnen und Lehrer schritten nicht etwa ein, sondern stachelten die physische und psychische Gewalt mehrheitlich noch an. Die Englischlehrerin von Lisbeth Löwenstein weigerte sich, die Waschschüssel im Klassenzimmer zu benutzen, wenn die junge Sykerin oder ihre jüdische Mitschülerin Grete an der Reihe waren, sie aufzufüllen, so die Erinnerung einer Zeitzeugin an die Worte der Pädagogin: „In dem Wasser von den Judenmädchen wasche ich meine Hände nicht.“¹ Auch Günter Roberg (1921–2014), einer der wenigen jüdischen Schülerinnen und Schüler aus dem heutigen Landkreis Diepholz, die den Holocaust überlebten, erinnerte sich später an den Vergleich eines Lehrers, den dieser im rassekundlichen Unterricht vortrug: „Wenn eine Mutter einen Kuchen backt mit allen guten Zutaten, kann es passieren, daß mit den Rosinen ein Stein in den Kuchen gerät. Für den, der den Kuchen ißt und dabei auf den Stein beißt, ist das sehr unangenehm. So wie der Stein ein Fremdkörper im Kuchen ist, genauso sind die Juden Fremdkörper im deutschen Volk.“²

Wörtliche Zitate entnommen aus:

¹ Greve, Hermann: Stolpersteine. Der Erinnerung einen Namen geben, Syke 2007, hier S. 24.

² Kurth, Hilmar: „Wenn’s Judenblut vom Messer spritzt…“. Judenverfolgung im Raum Sulingen – Diepholz – Twistringen – Bassum – Hoya, in: Als die Synagogen brannten. Der Judenpogrom vom 9./10. November 1938 in Deutschland und im Kreis Diepholz. Seine Vorgeschichte und seine Folgen, Syke 1988, S. 97–166, hier S. 118.