Rund 14.000 Zeugen Jehovas, bis in die 1930er Jahre unter der Eigenbezeichnung Ernste Bibelforscher bekannt, wurden in Deutschland zum Opfer nationalsozialistischer Verfolgung. Viele wurde in Konzentrationslagern inhaftiert, Kindern ihren Eltern entrissen, Wehrdienstverweigerer hingerichtet. Mindestens 1.500 von ihnen wurden bis 1945 aufgrund ihres Glaubens ermordet.

Josef Kedziora

Josef Kedziora wurde 1909 im heute polnischen Leszno (dt. Lissa) geboren und wurde mit vier Jahren Halbwaise, als sein Vater zu Beginn des Ersten Weltkriegs an der Front starb. Nach Kriegsende wuchs er in großer Armut in Schlesien auf. Verbittert über die Ungerechtigkeit seiner Lebensumstände, trat er 1925 aus der katholischen Kirche aus. Später machte er eine Lehre als Tischler und zog nach Hannover.

Kurz nach der nationalsozialistischen Machtübernahme schloss er sich den Zeugen Jehovas an und ließ sich 1934 taufen. Bei einer Abendmahlsfeier am 4. April 1935 wurden er und andere Gläubige von der Gestapo verhaftet, die sich anschließende einmonatige Haft kostete ihn seine Arbeitsstelle. Die vom Arbeitsamt zugewiesene Stelle in der Rüstungsindustrie lehnte er aus Gewissensgründen ab, weshalb er stattdessen ins Aschener Moor nahe Diepholz geschickt wurde.

Dort musste er ab sechs Uhr morgens Gräben ziehen, wofür 50 Pfennig die Stunde bezahlt wurden. Aus gesundheitlichen Gründen wurde Josef Kedziora bald darauf aus dem Moor abgezogen, zurück in Hannover engagierte er sich im Untergrund im Sinne der Zeugen Jehovas. Nach einer weiteren Verhaftungsaktion der Gestapo, die ihn folterte, wurde er im März 1938 im KZ Sachsenhausen inhaftiert, wo er bis 1945 unter unmenschlichen Bedingungen Zwangsarbeit leisten musste.

Der Evakuierung des KZ Sachsenhauses kurz vor Eintreffen der Roten Armee schloss sich ein Todesmarsch bis nach Schwerin an, wo er kurze Zeit später mit anderen Gefangenen vom US-amerikanischen Militär befreit wurde. Durch die Haftbedingungen verlor er einen Finger, überlebte jedoch die NS-Zeit, heiratete 1946 und gründete eine Familie.

Josef Kedziora (Mitte) an seinem Arbeitsplatz in Wiesbaden, 1947/1948 (Quelle: Jehovas Zeugen, Archiv Zentraleuropa).
Josef Kedziora an seinem Arbeitsplatz in Wiesbaden, um 1950 (Quelle: Jehovas Zeugen, Archiv Zentraleuropa).

Prof. Dr. Wolfgang Benz, ehemaliger Leiter des Zentrum für Antisemitismusforschung, äußerte sich zur Rolle der Zeugen Jehovas im Widerstand gegen den Nationalsozialismus:

„Zeugen Jehovas haben ihren jüdischen Nachbarn und Freunden Beistand gewährt, sie haben nicht wie die Mehrheit der Christen weggesehen, sondern den verfolgten Juden als Mitmenschen Unterkunft und Nahrung geboten, haben sie versteckt und ihnen zur Flucht verholfen [...] Auch in den KZ zeigten sich die Häftlinge mit dem violetten Winkel ihren Mitgefangenen hilfreich, spendeten Trost und Mut zum Überleben. Joseph Kempler, der als 14-jähriger Jude Zwangsarbeiter und KZ-Häftling wurde, erinnerte sich dankbar an die Zeugen Jehovas in Mauthausen: ‚Wir fühlten uns geschlagen und verloren. Aber sie zeigten Liebe, während ich vergessen hatte, dass dieses Wort überhaupt existierte.‘“

Vorwort von Wolfgang Benz, in: Wilker, Christoph: Die unbekannten Judenhelfer. Wie Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus jüdischen Mitmenschen beistanden, München 2022, S. 6 f.

Sogenannter Verfolgerungszettel, mit dem die Zeugen Jehovas 1945/46 die Verfolgung ihrer Angehörigen erfassten, ausgefüllt von Josef Kedziora (Quelle: Jehovas Zeugen, Archiv Zentraleuropa).

Auch Zeugen Jehovas aus dem heutigen Landkreis Diepholz starben als Opfer des Nationalsozialismus. Der 1915 in Diepholz geborene Otto Kolkhorst verweigerte 1935 aus Glaubensgründen den Eid auf Adolf Hitler, als er zum Reichsarbeitsdienst verpflichtet werden sollte. In der Folge wurde er zu einer Haftstrafe verurteilt, nach deren Ende im November 1937 er den Einberufungsbescheid zur Wehrmacht erhielt. Da er den erforderlichen Eid wiederum verweigerte, kam er erneut vor Gericht, das ihn mit vier Jahren Freiheitsentzug bestrafte.

Anders, als aus rassistischen Gründen Verfolgte, wie Sinti und Roma oder Jüdinnen und Juden, war es Zeugen Jehovas bis zu einem gewissen Rahmen möglich, ihrem Glauben öffentlich abzuschwören, sich zur Staatstreue zu bekennen und so weiteren Repressalien zu entgehen. Davon machte Otto Kolkhorst, wie auch Josef Kedziora, keinen Gebrauch, auch nicht, als er nach verbüßen seiner Haftstraße 1941 erneut zur Wehrmacht eingezogen wurde. Im März 1942 wurde er deshalb in Berlin zum Tode verurteilt und noch im selben Monat hingerichtet.